Hermann Billing und die „Hofapotheke” in Karlsruhe
Sicherlich ist die Hofapotheke in der Karlsruher Stadtmitte das bekannteste Bauwerk Hermann Billings. Mit Sicherheit ist es das auffälligste in diesem Straßenabschnitt. Inmitten der Gebäudezeile, die vom Wiederaufbau der Nachkriegszeit und halbherzigen Wiedergutmachungsversuchen diverser Entwurfsathleten des Bausektors geprägt ist, behauptet sich das Gebäude wie ein Zeitzeuge einer sinnreichen Baukultur.
Die “Hofapotheke“ befindet sich um 1900 schon längst nicht mehr im Karlsruher Schloss und ist auch schon in privaten Händen als der Apotheker Bauherr Friedrich Stroebe den Architekten Billing mit dem Neubau eines repräsentativen Geschäfts- und Wohnhauses beauftragt. Bislang steht an der Ecke Kaiser- Waldstraße ein zweigeschossiges Gebäude aus dem 18. Jh. Das prestigeträchtige Bauwerk befindet sich auf einem spitzwinklig zugeschnittenen Grundstück. Damit ergibt sich für Billing eine reizvolle Aufgabe, die sich auch dadurch auszeichnet, dass neben der Apotheke bis zu sechs Ladengeschäfte und vier Mietwohnungen nebst der Wohnung des Eigentümers im vierten OG und im Dachgeschoss Zimmer für Dienstmädchen und Ladenangestellte in diesem Gebäude untergebracht werden.
Damit hat Billing gegenüber seinem Bauherren das Raumprogramm erfüllt und 1901 fertig stellen lassen. Die Qualität des Gebäudes liegt in der Gestaltung seiner Außenfassade. Der mächtige Bau wird gegliedert, mit Türmchen und skulpturalem Beiwerk versehen. Die markante polygonale Eckausbildung und die Dachterrasse über dem dritten OG lassen eine lebendige Fassadengestaltung zu, die die große Dachfläche belebt – der im rechten Winkel zum Hauptfirst stehende Giebel und Gauben tun noch das ihre dazu. Die Dachterrasse, lagert sich vor der Wohnung des Hauseigentümers. Von hier aus lässt es sich gut auf die Kaiserstraße blicken. Hier hält eine geschosshohe, durchfensterte Wand in der Flucht der Kaiserstraße den von unten hinaufdringenden Lärm ab. Eine ursprünglich farbige Verglasung lässt Ausblicke auf die Kaiserstraße zu – auf der sich nach der Waldstraße zugewandten Seite ist lediglich ein schmiedeeisernes Brüstungsgeländer eingelassen.
Von Anfang an legte Hermann Billing großen Wert auf die künstlerische Ausgestaltung der Fassade, wie es seinem Selbstbild als Künstler und (Jugendstil-)Architekten entspricht. 15 Schaufenster und Eingänge im EG variieren in Breite, Höhe und Form in siebenfacher Weise. Ähnlich auch die Fenster in den darüber liegenden Geschossen, die mal in verschiedenen Gruppen, selten direkt übereinander (axial) angeordnet sind. Dadurch ergibt sich ein extrem dynamisches Fassadenbild, das allerdings nicht für Unruhe sorgt. Die Verwendung von Sandsteinquadern, aus der sämtliche Figuren, Ornamente, Laibungen und Bögen gefertigt sind und der Verzicht auf andere Fassadenmaterialien tragen dazu erheblich bei. Die wuchtige Monumentalität dieses Baus wird auch nicht durch die sich hell abzeichnenden Steinfugen gestört, die sich wie ein Netz feingliedriger Muster über das gesamte Gebäude ziehen.
Fast schon organisch wirkt der Bau auch dadurch, dass die ursprünglich fein gegliederten Fensterrahmen und –sprossen die Mauerfugen weiterführen. Ornamente sind vergoldet, grün oder weiß gefasst. Die Bauplastik erscheint als organischer Bestandteil der – im wahrsten Sinne des Wortes so erscheinenden – Außenhaut.
Die endgültige Bearbeitung der Sandsteinoberfläche erfolgte erst nach dem Einbau der Steine vom Gerüst aus, damit die optische Wirkung der sich aus dem Stein herausgebildeten Skulpturen besser verfolgen lässt.
Neben lateinischen und deutschen Inschriften, sind auch heraldische Zeichen, wie das grüne Apothekerkreuz, das deutsche und das badische Wappen mit den dazugehörigen Wappentieren zu finden. Inschriften und grünes Kreuz beziehen sich auf den Zweck des Gebäudes. Das sich windende drachenartige Tier symbolisieren Krankheit, die beiden Konsolfiguren des Erkers mit den Attributen von Apoll, Asklepius und Hypnos resp. Hygieia dagegen die Gesundheit. An den Fenstern des Apothekenlabors sind im Zwischengeschoss an der Waldstraße Pelikan (Fürsorge), Kranich (Wachsamkeit), Adler (Weitblick) und Eule (Klugheit) angebracht. Friedrich Stroebe lässt sich seinen, Billings und Mallebreins Namen unter der Terrasse an der Waldstraße einmeißeln.
Kurz nach Fertigstellung veröffentlicht die führende Kunstzeitschrift des Jugendstils. Die „Deutsche Kunst und Dekoration“, eine Reihe von Aufnahmen der „Hofapotheke“. Den zeitgenössischen Kollegen erscheint der Bau als Meilenstein in Billings Werk und Entwicklung. Im zweiten Weltkrieg brennt der obere Teil aus, wird jedoch wiederhergestellt. Die Dachpartie wird vereinheitlicht, wobei Gauben, Turmhelme und der Giebel an der Kaiserstraße verschwinden und der große Eckgiebel vereinfacht wird. Bei einer behutsamen Außenrenovierung werden Vergoldungen an der Kaiserstraße rekonstruiert, wenn auch nicht immer dem Originalverbund entsprechend. Wichtige Fenstersprossen, die für den Gesamteindruck wichtig sind, sind erhalten geblieben, auch Teile der Billingschen Apothekeneinrichtung. Seit 1975 fehlt die entfernte Bekrönung mit Fahnenstange auf dem Eckturm.
(Text: Wolfgang Vocilka)